Vorschau Dunkelfeuer 2

Dunkelfeuer Ich finde dich

Auszug


Kapitel 1


8 ½ WOCHEN ZUVOR …

Der Morgen nach einer exzessiven Party fühlte sich immer wie im Fegefeuer an. Mir dröhnte der Schädel und mein Oberkörper war übersät von roten Striemen – die Kratzspuren waren ein Überbleibsel von einer heißen Nacht mit einem Groupie. Auf meiner Zunge lag ein pappiger, fauliger Geschmack und auch die Zahnpasta beim Zähneputzen heute Morgen konnte daran wenig ändern. Ich hatte immer noch einen mordsmäßigen Kater und ich war viel zu spät dran, als ich das Gerichtsgebäude betrat. Als ich die Tür zum Saal öffnete, erblickte ich meinen Anwalt, der stocksteif und regungslos in seiner schwarzen Robe vor dem Anklagetisch saß. Ich marschierte eilig auf ihn zu und zog den Stuhl neben ihm hervor, dessen Holzbeine knarrend über das alte Parkett kratzten. Das abartige Geräusch ließ mich kurzzeitig zusammenzucken. Schließlich nahm ich Platz und starrte nach vorne auf das leere Richterpult.

»Du bist zu spät«, wies der Anwalt mich zurecht.

»Entschuldige«, erwiderte ich zähneknirschend.

»Deine Verhandlung ist bereits seit fünfzehn Minuten vorbei«, informiert er mich. Ich schwieg und es herrschte für einen Augenblick eine unangenehme Stille zwischen uns.

»Vater, es tut mir leid«, versuchte ich mich bei meinem alten Herrn, der auch gleichzeitig mein Anwalt war, zu entschuldigen.

»Aurelius, was hat dich diesmal aufgehalten? Eine Party? Die Groupies? Zuviel Alkohol? Dein Drogenkonsum? Was hat dich verflucht noch mal daran gehindert, nicht persönlich bei deiner Verhandlung zu erscheinen?« Er war wie üblich enttäuscht und verärgert über mich. Ich wandte mich ihm angesäuert zu.

»Willst du das wirklich wissen?«

»Nein. Es interessiert mich nicht. Trotzdem muss ich es nicht akzeptieren und länger mit ansehen, wie mein zweiundzwanzigjähriger Sohn sein ganzes Leben ruiniert, weil er sein Studium in Rechtswissenschaft abbrechen musste für eine Rockstarkarriere, die ihn geradewegs in den Drogensumpf führt«, meinte er barsch.

»Ich bin halt gerade in einer Experimentierphase. Da geht auch gerne mal was schief. Außerdem bin ich für den Schaden aufgekommen«, verteidigte ich mich.

»Hier geht es nicht ums Geld«, sagte er.

»Stimmt. Das hatte ich total vergessen.« Ich schlug mir theatralisch mit der Hand gegen die Stirn, bevor ich weitersprach und ihm zynisch vorwarf: »Für dich spielte doch Geld nie eine Rolle, genauso wenig wie Jasper oder ich, wenn wir nicht nach deiner Pfeife tanzen.«

Mein Vater schwieg und strafte mich mit einem warnenden, wütenden Blick, es nicht zu weit zu treiben. Seinen Zorn hatte ich mir in der Vergangenheit schon des Öfteren zugezogen und es tangierte mich schon lange nicht mehr. Die Beziehung zu meinem Vater war kompliziert und seit Jahren gestört. Ich lehnte mich lässig und provokant in den Stuhl und gleichgültig schaute ich zurück. Seine türkisfarbenen Augen wirkten müde. Bis auf die Augenfarbe hatten wir keinerlei Gemeinsamkeiten. In meiner Kindheit redete ich mir oft ein, ein Kuckuckskind zu sein.

Nach einem langen Moment des Anstarr- und Schweigeduells zwischen uns räusperte er sich.

»Du hast Jasper damit hineingezogen, also bist du für ihn auch verantwortlich. Aber zurzeit kannst du noch nicht einmal für dich selbst die Verantwortung übernehmen, geschweige denn, dass du gerade ein gutes Vorbild für deinen

jüngeren Bruder abgibst. Das ist wirklich bedauerlich.«

»Was willst du von mir?«, wollte ich wissen.

»Ich will absolut gar nichts von dir. Das bildest du dir nur ein. Schau dich doch nur an. Dein Zustand ist zu erbärmlich, als dass ich noch Forderungen an dich stellen könnte, und außerdem verschwende ich mit dir im Moment meine kostbare Zeit. Ich habe es aufgegeben, Einfluss auf dich nehmen zu wollen. Du machst generell sowieso nur das, was du willst. Kommen wir doch einfach auf den Punkt, warum wir hier sind. Der Richter hat sein Urteil gesprochen.«

»Wie fiel das Urteil für mich aus?«

»Der Richter ist ein alter Bekannter der Familie. Ich habe mit ihm einen Deal aushandeln können.«

»Was steht zur Auswahl?«

»Ein dreiviertel Jahr Gefängnis oder ein halbes Jahr Bewährung mit der Auflage, dass du einen Drogenentzug machst. Die Entscheidung liegt ganz allein bei dir«, sprach er sachlich, als wäre ich nur einer seiner Klienten und nicht sein Sohn.

Spitzenmäßig. Ich sollte mich zwischen Pest oder Cholera entscheiden.

»Das ist ein schlechter Witz«, entfuhr es mir und aufgebracht raufte ich mir mein dunkles Haar.

»Nein. Ich scherze nie und das weißt du«, erwiderte mein Vater humorlos.

»Wie stellst du dir das eigentlich vor?«, fragte ich. »Meine Karriere ist gerade in vollem Gang.«

»Das hättest du dich vorher fragen sollen, bevor du das Rockstarklischee in vollstem Umfang erfüllen musstest. Vielleicht solltest du in der Auszeit mal über einen Imagewechsel nachdenken. Übrigens habe ich es satt, dass dein Manager mich ständig kontaktiert, wenn du mal wieder neben dir stehst und mit dem Gesetz in Konflikt gekommen bist. Immer nehme ich den Weg von Österreich nach Deutschland auf mich, um dich aus dem Schlamassel zu holen. Du hättest in Salzburg bleiben sollen. Seit du in Potsdam bist, hast du nur Unsinn im Kopf.«

»Verstehe. Ich werde Damian ausrichten, dass er deine Nummer aus der Kontaktliste löschen soll«, erwiderte ich.

»Schön!«

»Prima!«

»Welche Urteilssprechung soll der Richter nun offiziell bekannt geben?«

»Ich gehe auf keinen Fall in den Knast. Da mach ich doch lieber Urlaub bei Betty«, meinte ich.

»Ich werde dem Richter umgehend mitteilen, dass du morgen einen Entzug antreten wirst.«

»Also morgen schon«, brummte ich.

»Da gibt es nur noch eine Kleinigkeit.«

»Eine Kleinigkeit? Wieso überrascht mich das jetzt nicht«, sagte ich sarkastisch.

»Dein Entzug wird nicht in der ›My Way Betty Ford Klinik‹ sein«, teilte er mir mit.

»Wo werde ich dann meinen Entzug machen?« Wollte ich das wirklich wissen? Ich ahnte, dass die kommenden Wochen die Hölle werden würden.

»Du wirst in Northeim deine medizinische Rehabilitation haben und in Naensen auf Katys Reiterhof wohnen und arbeiten«, erklärte er mir.

»Was?«, schrie ich aufgebracht. »Du willst ernsthaft, dass ich zu ihr gehe?«

»Sie ist immerhin deine Mutter. Und außerdem möchtest du bestimmt nicht, dass die Presse über deinen kleinen Ausrutscher und deinen Drogenentzug informiert wird«, entgegnete er gefühlskalt.

»Ist mir scheißegal. Sie hat uns, ihre Familie, vor fast sieben Jahren verlassen. Du erwartest jetzt nicht von mir …« Plötzlich schlug mein Vater mit der rechten Faust auf den Tisch und fuhr mich wütend an: »Doch, genau das. Und keine Widerrede. Oder willst du ins Gefängnis?« Ich dachte ernsthaft darüber nach, vielleicht doch lieber in den Knast zu wandern.

»Aurelius. Mach jetzt bitte keinen dummen Fehler«, warnte mich mein alter Herr.

»Fuck«, knurrte ich und sprang auf, um aus dem Gerichts-saal zu stürmen. Ich hatte gerade meine rechte Hand am Türgriff, als er hinter mir drohte: »Solltest du dich nicht bis morgen Abend bei deiner Mutter in Naensen auf dem Reiterhof eingefunden haben, dann lasse ich dich höchst persönlich zur Fahndung ausschreiben.«

Das war wohl die Konsequenz für mein immer so gedankenloses und unverschämtes Verhalten. Aber es fiel mir einfach zu leicht, mich wie ein Arschloch aufzuführen.

Ich wandte mich nicht nach ihm um, als ich zum Abschied rief: »Vater, es geht doch generell immer nur nach deinem beschissenen Willen. Also, a geh, scheiß di ned aun.«

Er hasste es, wenn mein Bruder Jasper und ich österreichische Sprichwörter verwendeten, da seine Söhne gefälligst Hochdeutsch sprechen sollten, was ich auch immer vorzugsweise tat, aber in der Not frisst der Teufel eben Fliegen. Nachdem ich das Gerichtsgebäude verlassen hatte, zog ich aus der hinteren Tasche meiner dunklen Designerjeans eine ausgebeulte, rot-weiße Zigarettenschachtel hervor. Ich führte eine Kippe zwischen meine Lippen und nahm das Feuerzeug, um sie anzuzünden. Ich zog kräftig den würzigen Geschmack ein, inhalierte und blies den Rauch in die Luft. Alles in mir sträubte sich gegen diesen Entzug und den damit verbundenen Aufenthalt bei meiner Mutter. Es waren sieben Jahre vergangen, seit sie für immer gegangen war. Dass sie Jasper und mich allein bei unserem Vater zurückgelassen hatte, würde ich ihr nie verzeihen. Ich nahm einen weiteren Zug an der Zigarette. Unsere bevorstehende Mutter-Sohn-Zusammenführung stand unter keinem guten Stern.


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